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(An-) Triebe

Bei der Klärung der Frage, was den Menschen zum Handeln antreibt, kommt man nach kurzem Nachdenken zu zwei elementaren Affekten, die in einem Menschen aufgrund des der Umwelt Ausgesetztseins entstehen und die sein Wirken in eine bestimmte Richtung treiben: Begehren und Angst[+].

Jeder kennt das Gefühl, das man empfindet, wenn man etwas will, das man nicht hat. Das Gewollte wird häufig als das Objekt der Begierde bezeichnet, das Wollende als das begehrende Subjekt. Das begehrende Handeln ist ein Streben nach dem Objekt der Begierde. Zu diesem Wollen gehört nicht nur haben Wollen, wobei das Gewollte z.B. eine begehrte Sache wie Geld, etwas anderes Totes oder ein Mensch ist, sondern auch (intentional und beabsichtigt) ein erleben Wollen, einen angenehmen Sinneseindruck, eine genüssliche Empfindung oder sinnlich-freudige Erfahrung an und mit dem Objekt zu haben. Deswegen gehört auch die Neugier zu diesem Wollen. Das begehrende Handeln eines Neugierigen ist das Streben nach Erkenntnis.

Die andere wichtige Emotion, die unser Verhalten beeinflusst, ist die Angst[+] in allen ihren Formen. Auch das Gefühl der Angst[+] ist das Ergebnis der Bewertung eines Reizmusters. Es müssen zwei elementare Formen von Ängsten[+] unterschieden werden. Zum einen gibt es eine reflexhaft, also sehr schnell entstehende Form der Angst[+], die eng mit den ältesten Teilen unseres Bewusstseins, den Instinkten zusammenhängt. Diese Form der Angst[+] wird erlebt, wenn wir uns plötzlich einer unmittelbar bedrohlichen Situation gegenübersehen, wenn wir z.B. einem gefährlichen Tier begegnen oder einer lebensbedrohlichen Lage ausgesetzt wird. Die andere Art der Angst[+] ist eine Empfindung höherer Ordnung[+], die seelisch mit einer auf Erziehung und Sozialisation, jedenfalls Umweltkontakt, zurückgehenden Struktur verbunden ist, die mit den Begriffen Persönlichkeit, Charakter und Neurosenstruktur zusammenhängt.

Verortung der Entstehung elementarer Triebe im Gehirn

Die Persönlichkeit und der Charakter eines Menschen zeichnet sich jedoch nicht allein über seinen Umgang mit seinen Ängsten[+] aus, sondern u.a. auch über seinen Umgang mit seinem Begehren. Wie und wo entstehen diese elementaren Affekte und welche Triebe lösen sie aus?

Lust und Begehren im Gehirn

Beginn der Bezahlwand

Der Nucleus Accumbens ist das Organ (Hirnareal) im Gehirn von Menschen, das dem Menschen aufgrund seiner Erfahrung in der Vergangenheit eine mögliche Belohnung ausweist und in ihm das Gefühl des Begehrens entstehen lässt. Begehren, Begierde oder auch Gier spiegelt sich in einer Aktivität des nucleus accumbens wider (Grafiken).

Amygdala Nucleus Accumbens Hippocampus Amygdala Nucleus Accumbens Hippocampus
Querschnitte des Gehirns mit farblicher Hervorhebung des Nucleus Accumbens (Belohnungserwartungszentrum) der Amygdala (Mandelkerne, Motivation, Angst[+]- und Vernunftszentrum[+]) dem präfrontalen Cortex (höhere kortikale Prozessierung, Assoziationen, Ideen) und der Hippocampus (Brücke zum Gedächtnis, Gedächtnis-Bussystem). Quellen: www.health.harvard.edu, https://neurowiki2012.wikispaces.com und Prof. Vasily Klucharev zum „Belohnungsbewertungszentrum” des Gehirns.

Das Empfinden des Begehrens ist einer der wichtigsten Zustände, in die ein Mensch geraten kann. Das Begehren hat die Funktion dem Gesamtorganismus eine mögliche Belohnung auszuweisen und sein Verhalten auf die Erlangung dieser Belohnung auszurichten. Neuere Erkenntnisse in der Hirnforschung zeigen[3], dass es eine Asymmetrie zwischen Männern und Frauen in Bezug auf die Verarbeitung eines sexuellen Reizes gibt, der von einem Menschen des jeweils anderen Geschlechts ausgelöst wird. Die Mandelkerne sind bei Männern größer, haben also eine stärkere Verbindung mit dem limbischen System als bei Frauen[4]. Männer sind deswegen über die Augen leichter sexuell erregbar als Frauen.

Menschliches Sexualverhalten I und II, Robert Sapolsky, Universität Stanford.

Ängste

The Amygdala in 5 Minutes, Joseph LeDoux.
Eine wichtige Funktion der Amygdala ist eine Vermittlung und die Bewertung von (u.a. optischen) Sinnes- und Gedächtnisreizen in Bezug auf die Frage, ob vom Gesamtreiz (endogen und exogen) dem der Organismus ausgesetzt ist, eine Gefahr ausgeht. Die Mandelkerne verknüpfen also das somatische (Sinnesreiz + Gedächtnis) und das vegetative Nervensystem (Körperwahrnehmung + Gedächtnis).

Mandelkerne von Männern und Frauen sind unterschiedlich stark mit dem Gedächtnis und dem vegetativen Nervensystem verknüpft. Bei Frauen ist die Verknüpfung komplexer[1]. Insgesamt ist die Amygdala von Männern im Vergleich mit Frauen größer. Dies hat insbesondere einen Grund. Frauen haben für gewöhnlich ein gesteigertes Körperbewusstsein, weil sie nicht nur für sich selbst, sondern auch für das ungeborene und neu geborene Kind sorgen müssen. Um diese Fürsorge zu gewährleisten, muss die Frau ein stärkeres Bewusstsein für ihre eigenen körperlichen Bedüfnisse haben.

Evas Sorge um die Zukunft, Adams Gier und die Projektion des Teufels

In der Genesis steht geschrieben, dass der Apfel (der Zins) Adam von Eva gegeben wurde, nachdem Eva von der Schlange verführt wurde. Berücksichtigt man die neurophysiologischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern, dann ist aufgrund der unterschiedlichen Größe der Amygdala und ihrer Vernetzung mit dem Gedächtnis vermutlich die Angst[+] von Frauen in Bezug auf die Sicherstellung zukünfiger Bedürfnisse (Sicherheit und Vorsorge) schwächer aber zugleich komplexer ausgeprägt als bei Männern. Die Schilderung in der Genesis passt zu diesem Befund, denn für die meisten Sorgen, die Eva hat, ist Adam empfänglich. Eva weiß aber mehr über die Komplexität der Vorsorge als Adam. Eva weiß von der Schlange auch, dass der Apfel schlau macht, so dass es für beide nun Sinn macht, den Apfel trotz Verbots zu probieren.

Eva ist aber eben nicht Schuld an den Folgen des Kapitalismus[+], sondern die Gier von Adam, denn er will mit Eva sein und die verführt ihn zur Sünde. Die Warnung Gottes, dass der Genuss des Apfels zum Tod führt, schlägt Adam in den Wind und kümmert sich fortan eben auch nicht mehr um die elementarste Form der Auslebung seiner Libido, nämlich die Fortpflanzung, sondern muss Gier (Rendite, Profit, Zins) getrieben im Schweiße seines Angesichts schaffen.

Der Eingang des Paradieses wird nach der Vertreibung Adams und Evas daraus fortan bewacht von den Cherubim[+], den vom Kapitalismus[+] verstörten Menschen. Ihre Flügel symbolisieren finanzielle Unabhängigkeit oberhalb der Schwelle zur eigenständigen Existenz, ihr Schwert symbolisiert den Krieg und das Werkzeug des Teufels.

Gier, also Begehren, ist ein systemisch (Zins-) verstärkter Antrieb im Kapitalismus[+] und erzeugt (wie auch in 2015 überall auf der Welt sichtbar ist) viel Böses. Für sich genommen ist Gier als Teil der Liebe nichts Schlechtes. Erst der Kapitalismus[+] verwandelt die menschliche Gier in eine zerstörerische Kraft, macht also aus dem ursächlichen Trieb der Schöpfung in seiner Wirkung eine Zerstörung (Schöpferische Zerstörung).

Der zwar bibelkundige, sonst jedoch unreflektierte (dumme) Mann macht deswegen die Frau für das Böse in der Welt verantwortlich, in Wirklichkeit ist es aber seine Gier. Seine eigene Gier wird auf die Frau projiziert. Im Mittelalter[+] wurden Frauen, die die Männer verführten oder nicht in das moralische Korsett der katholischen Kirche passten, als Hexen verfolgt. Das den Frauen vorgeworfene Böse wurde oft mit dem Phänomen der Spaltung und dem Teufel in Verbindung gebracht, so wie der Apfel, den Eva Adam gab, vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen (bivalente Logik) stammte. Die Verführung Adams durch Eva zum Genuss des Apfels wirkt also wie der Teufel, denn des Apfels Genuss lässt Adam das komplexe Ganze in Gut und Böse spalten. Adam behauptet jedoch, dass die Hexe Eva ihn verführt habe, und das ist eine Projektion!

Konditionierung

Durch Belohnung und Bestrafung von Verhaltensweisen können nahezu beliebige Reaktionen auf seelische Affekte antrainiert werden.

Das begehrende Handeln ist beispielsweise darauf ausgerichtet, eine Ausschüttung von Dopamin zu erzeugen. Durch den Lernvorgang während einer Belohnung kann der Mensch auf ein bestimmtes Verhalten konditioniert werden. Die Konditionierung geschieht wie in einem Spiel, bei dem die Einhaltung einer bestimmten Strategie zum Erfolg (der Belohnung, die Dopaminausschüttung) führt.

Führt das begehrende Handeln des Gesamtorganismus zu einer Ausschüttung von Glückshormonen (Dopamin) bewirkt dies in einem Lernvorgang, der auch positive Rückkopplung (englisch positive feedback) genannt wird, eine Verstärkung der neuronalen Verbindungen, welche an der Gesamthandlung beteiligt sind. Sowohl die Reizschwelle (auch Hemmschwelle) wird abgesenkt, die Aufmerksamkeit wird also bis zur Vigilanz in Bezug auf das Reiz auslösende Objekt der Begierde gesteigert, als auch genau jene Handlungsabläufe werden optimiert, die zur Belohnung geführt haben (Lernvorgang).

Links die Visualisierung des Begehrens von Geld von Brian Knutson, Universität Stanford. Ein wesentliche Erkenntnis des Vortrags ist, dass es „normal“ ist, Geld zu begehren. Fragen Sie sich selbst: Könnte dieses Verhalten nicht auch anerzogen worden sein? Rechts[+] Konditionierung im Tierexperiment.
Der subjektive Wert einer konditionierten Handlung in Bezug auf ein Objekt der Begierde ist messbar als die mittlere Feuerrate der Neuronen des Nucleus Accumbens.

Ein der Konditionierung zugeordneter Bereich im Gehirn ist das ventrales Tegmentum von dem angenommen wird, dass seine Funktion der Vorhersage (Projektion) einer zukünftigen Belohnung dient.

Bewertung und Belohnung
Messungen mit der Methode der funktionellen Magnetresonanztomographie zeigen, dass das ventrale Tegmentum auch bei einem Raucher aktiv ist, in dem der Wunsch nach der nächsten Zigarette aufsteigt.

Belohnungsaufschub: Das Marshmallow Experiment

Es ist durch Konditionierung möglich, bestimmte Affekte, wie das Wollen, in ihr Gegenteil zu verkehren, indem im Moment des Aufsteigens des Begehrens ein gegenläufiger seelischer Impuls antrainiert wird. Eine derartig paradoxe („perverse”) Konditionierung demonstriert der berühmte Marshmallow-Test.

Oben: Der Marshmallow-Test von Walter Mischel (SRF Kultur, Sternstunde Philosophie, 22.3.2015). Unten: Der Erfinder des Tests über den Zusammenhang zwischen „Vernunft[+]“ und der Fähigkeit des Aufschubs einer Belohnung.
Die durch das Zinsnehmen erzeugte Knappheit im Netzwerk des Leihnehmers hängt also eng mit dem Begriff der Askese zusammen, der praktizierter Belohnungsaufschub ist.

Festzuhalten ist hier Folgendes:

Beim Sparen wird die Zurückstellung gegenwärtiger Bedürfnisse mit einer Belohnung verknüpft, dem Zins. Eine Perversion des Kapitalismus[+] ist also die Besetzung eines Hunger-, Mangel- und Verzichtgefühls mit Lust bzw. Begehren, denn Hunger sollte die Ursache[+] für seine Beseitigung sein und nicht seine Wirkung. Man sollte nie vergessen, dass der Zins Anderen genommen wird!

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Tim Deutschmann

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