⌂ Wahnhafte Erwartungen: Paranoia
In dieser Zeit[+] begegnet man in der Kommunikation immer wieder wahnhaften Vorstellungen über Zukünftiges und Gegenwärtiges, die bei manchen Zeitgenossen[+] zu einem ganzen Wahngebäude ausgebaut sind. Ich will hier einige Vermutungen darüber anstellen, woher diese seelischen Zustände kommen und nehme hinsichtlich der für den Gesellschaftsvertrag[+] gefährlichen Zustände (zum wiederholten Mal) Bezug auf älteste bildliche Darstellungen. Ich denke, dass jeder, der sich auf Facebook oder in anderen sozialen Medien über die Empfindlichkeit, das tiefe Misstrauen gegenüber Staat, Wirtschaft und Gesellschaft, das Grassieren von Verschwörungstheorien[+], die Hasskommentare und die Terroranschläge rechter und linker Amoktäter, die ihre Taten mit einer wahnhaften, irren Ideologie begründen, wundert, hier einen Text finden wird, der die Empfindungen und Beobachtungen beschreibt. Es sei vorweg genommen, dass es sich bei den hier aufgeführten Verknüpfungen um eine spekulative Theorie handelt, die mir plausibel erscheint, nach allem, was ich darüber weiß. Keineswegs erhebe ich den Anspruch auf Gültigkeit dieser Vermutungen. Allerdings überprüfe ich die Thesen natürlich laufend.
⌂ Der altägyptische Gott Schu, das Totengericht und Goethes Pudel
Wer kennt schon den altägyptischen Gott Schu (Bild)? Ich halte diese Gottheit für zentral in der Frage, wie sich unser kulturelles Wertsystem, Über-Ich, soziale Normen, Regeln und Gesetze gebildet haben. Das Wort Schu hat zwei Bedeutungen:
- Leere
- »der (in den Himmel) aufsteigt«.

Nun weiß man ja, dass auch die alten Ägypter Kapitalismus[+] betrieben und Zinsen[+] genommen haben.
Ich denke, dass Schu der Gott des Sparens ist, denn wenn man in der Gegenwart die Leere aushält,
indem man die Belohnung und die Erfüllung von Erwartung in der Gegenwart unterdrückt und auf die Zukunft verschiebt,
bekommt man vom System Zins[+] und steigt auf.
Wenn man auf den Belohnungsaufschub von einem psychologischen Standpunkt aus schaut, wird durch das Sparen künstlich eine Erwartungshaltung aufgebaut. Nun spart ja bekanntermaßen die ganze Kultur, doch nur die kleinere der beiden Klassen bekommt Zins[+] für die asketische Enthaltsamkeit, während die andere Klasse den Zins[+] in Form von Mehrarbeit (der Zins[+], bzw. die Zinsschuld[+] (!) ist Teil des Mehrwerts) und über den Zinsanteil[+] an der Inflation[+] von der eigenen Substanz nimmt und dem Kapital hergibt.
Ich vermute, dass ein Teil des in den sozialen Medien beobachtbaren, teils paranoiden[+] Wahns über das Kommende (die Zukunft) auf die durch die Knappheit (die Mängel) verursachten, teils wahnhaften Hoffnungen und Erwartungen auf Belohnung (Freude, Glück, Rausch) oder Bestrafung der Schuldigen (Genugtuung, Gerechtigkeit, Entschädigung) zurückgeht.
Mit Bezug zu den Befürchtungen und den Ängsten[+], die Menschen vor der Zukunft haben, findet sich im Faust von Goethe diese Textstelle, an der das Tier Ammit beschrieben wird:
Pudel, so laß das Heulen,
So laß das Bellen!
Solch einen störenden Gesellen
Mag ich nicht in der Nähe leiden.
Einer von uns beiden
Muß die Zelle meiden.
Ungern heb ich das Gastrecht auf,
Die Tür ist offen, hast freien Lauf.
Aber was muß ich sehen!
Kann das natürlich geschehen?
Ist es Schatten? ist's Wirklichkeit?
Wie wird mein Pudel lang und breit!
Er hebt sich mit Gewalt,
Das ist nicht eines Hundes Gestalt!
Welch ein Gespenst bracht ich ins Haus!
Schon sieht er wie ein Nilpferd aus,
Mit feurigen Augen, schrecklichem Gebiß.
Oh! du bist mir gewiß!
Für solche halbe Höllenbrut
Ist Salomonis Schlüssel gut.
Ich denke, dass wir Ammit in den Protestbewegungen in den terminalen Krisenphasen des Kaputtismus (lat. caput für Haupt) beobachten und dass sie im Umfeld paranoider[+] Wahnvorstellungen hungrig wird, die u.U. in Amok umschlagen.
⌂ Paranoia nach Prof. Dr. Volker Faust
Ich beziehe mich im Folgenden auf einen Text von Prof. Dr. Volker Faust von der Plattform psychosoziale Gesundheit zur Paranoia[+].
Psychopathie ist eine kulturrelative Diskriminierung. Folgt man der Definition der Neurose nach Karen Horney in 'Der neurotische Mensch unserer Zeit[+]' (1937), so ist »das Neurotische« eine Abweichung von der kulturellen Norm. Wo dabei die Normgrenze (die kulturelle Eindämmungsgrenze des Geistes) liegt, ist hoch umstritten.
Diese scheinbaren Angriffe können aber vom noch so loyalen, um Objektivität bemühten oder gutwilligen Umfeld nicht registriert, bestätigt oder gar als Vorwurf akzeptiert werden. Ja, nicht nur dies, sondern auch positive, freundliche, unterstützende, hilfreiche Bemerkungen, Kommentare, Haltungen, Gesten usf. können als feindselig, zumindest aber herabwürdigend, kränkend, diskriminierend erlebt werden, und zwar in heftiger, unkorrigierbarer und ggf. beleidigender bis feindseliger Art. Selbst harmlose Bemerkungen, Ereignisse, zufällige Konstellationen u. ä. werden – zumindest versteckt – als abwertend oder gar bedrohlich eingestuft.
Kurz: Das Leben mit einem Menschen, der von einer paranoiden[+] Persönlichkeitsstörung heimgesucht wurde (siehe auch die Frage erblicher Belastung später), ist im harmlosesten Falle eine dauerhafte Belastung, in Extrem-Situationen ein „Martyrium“, und zwar nicht nur für die schuldlose und lange Zeit[+] hilflose Umgebung, letztlich auch für den Betroffenen selber, der am Ende mit Ausgrenzung und Isolation bezahlen muss.
Wie wahrscheinlich keine andere Beschreibung von seelischen Störungen hat jene der Paranoia[+] nach Volker Faust große Ähnlichkeit mit der Grundangst Karen Horneys (z.B. am 17.11.2019 oder in der Beschreibung des Riemann-Thomann-Modells). Um das Wesentliche zur besseren Orientierung vorweg zu nehmen, würde ich sagen, dass die Paranoia[+] mitnichten eine Randerscheinung (ein „Normexzess“, im Sinne der Abgrenzung des vermeintlich Krankhaften vom Gesunden) ist, sondern, wenigstens in ihrer weniger starken Ausprägung hinsichtlich des gesellschaftlichen Zusammenhalts (soziale Kohäsion), wohl eine, wenn nicht die zentrale seelische Störung des zivilisierten („gezähmten” im Sinne von Norbert Elias[+]) Kulturmenschen (siehe Eintrag vom 19.10.2017).
Einen Teil des paranoiden[+] Grundgefühls kann man sich in etwa so vorstellen, wie man sich nach einem Diebstahl als Bestohlener fühlt oder wenn im eigenen Haus, also im Bereich, von dem man annimmt, alles unter Kontrolle und Beobachtung zu haben, auf einmal Sachen verschwinden. Man weiß nicht, von wem man bestohlen wurde, man ist verunsichert, peinlich berührt, wird misstrauisch den Beziehungspartnern gegenüber und sucht nach Schuldigen. Schon allein an diesen, wohl allen bekannten Gefühlen erkennt man, dass das Grundgefühl der Paranoia[+] keinesfalls unnatürlich ist.
⌂ Einige Annahmen über die Bedeutung von und Erwartung an Vertrauen, Logik und Liebe in Beziehungen
Um die Symptome der Paranoia[+] zu begründen, mache ich einige Annahmen über die Natur und die natürlichen Erwartungen an Austauschbeziehungen im Allgemeinen, die in unserer natürlichen Veranlagung und in Elementen des alltäglichen Denkens begründet liegen. Diese Annahmen in Bezug auf die Bedeutung von Kausalität[+] im menschlichen Denken, sowie über die Gutmütigkeit des Beziehungspartners, stecken implizit in den Diskriminierungskriterien der Paranoia[+], nämlich in der Ungerechtfertigkeit und Unbeweisbarkeit der Unterstellungen, der projizierten Boshaftigkeit, des Misstrauens und der Anschuldungen.
⌂ Die Beachtung der Logik und Kenntnis von Kausalzusammenhängen sind überlebenswichtige Fähigkeiten
Der Zivilisationsmensch hat, so die erste Annahme, einen Hang zum Logischen, da Logik Kausalität[+] abbildet bzw. nachvollzieht und da das Erkennen und Berücksichtigen von kausalen[+] Zusammenhängen eine für das Überleben des Menschen, wie natürlich für alle anderen Lebewesen auch, elementare Fähigkeit ist.
Wie ich hier in dieser Veröffentlichung in vielen Details darstelle, wirkt im Geldnetzwerk eine (a)soziale Mechanik, die auf eine komplexe Art auf das Phänomen der funktionalen Differenzierung der Arbeitsteilung einwirkt. Arbeitsteilung[+] ist an sich nichts Unnatürliches; man findet sie in der Natur in der Interdependenz und in den Austauschprozessen der Spezies, doch ist die Entwicklung und der Fortschritt der Arbeitsteilung[+] des Kapitalismus[+] das Mittel[+] zum Zweck[+] des Wachstums[+] des geltenden Toten[+], bzw. sein notwendiges Korrelat, ohne dass den Teilnehmenden und den dieser Maxime Unterworfenen das voll bewusst ist.
Dass jedoch etwas Totes von sich aus wächst[+], ist hinsichtlich elementarer Naturgesetze[+] nicht nur pervers, sondern es ist unlogisch, da es diese Kausalität[+], diesen Wirkmechanismus in der Natur nicht gibt. Im Gegenteil: das durch den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik[+] beschriebene Naturphänomen der Irreversibilität des Zeitflusses[+], der Alterung aller Materie, lebendiger wie toter, und die unvermeidliche Zunahme von Unordnung (Entropie[+]) bewirkt genau das Gegenteil und, im Speziellen, dass alles Tote, alle Materie ohne Geist und Willen immer weiter zerfällt.
Hingegen bauen Wertschöpfungs- und Lieferketten, wie in Ökosystemen[+] auch, physisch[+] und logisch aufeinander auf, so wie die beteiligten Berufe logisch miteinander verzahnt sind. Wirtschaft ist also insgesamt durchaus auch logisch und sinnvoll, denn sie dient der Stillung unserer Bedürfnisse, dem Selbsterhalt (Subsistenz) und also der Reproduktion des Lebendigen.
Es sind in der Wirtschaft insgesamt also logische und unlogische, bzw. elementaren Naturgesetzen[+] widersprechende, Mechaniken am Wirken, und der Zivilisationsmensch ist beidem ausgesetzt.
⌂ Ein geschädigter Mensch sucht nach Ursachen, doch über bestimmte Ursachen schweigt man sich aus
Leidet der Mensch infolge eines Schadens, dann sucht er nach Verknüpfungen zwischen seinem Leid, das Wirkung von etwas ist, und der Ursache[+]; dies ist die zweite Annahme. Diese Suche ist nicht Sinnsuche, sondern die Suche nach Schuldigen oder Ursache[+](n) für eigenes Leid mit dem Zweck[+], künftiges Leid zu verhindern. Es ist ein komplexer, überlebensnotwendiger Abwehrmechanismus. Die Frage danach, ob man selbst Schuld hat oder ein Anderer ist dabei natürlich von elementarer Wichtigkeit, denn sich selbst kann man ändern, Andere hingegen im Allgemeinen nicht (sicher).
Über die Funktionsweise des Finanzsystems und die Details des Zinsnehmens[+] herrscht gesellschaftliches Schweigen[+]. In öffentlichen Gesprächen wird sich beharrlich über das Zinsnehmen[+] (also die zentrale Perversion eines elementaren Naturgesetzes[+]) ausgeschwiegen[+]. Der zugehörige Latenzbereich[+] im Geist (siehe Luhmann[+] zur Latenz[+] am 09.10.2018), also im Denken und im Gespräch, wird durch das Schweigen[+] ins Unterbewusstsein geschoben und verdrängt, jedenfalls verlagert.
Zur zweiten Annahme in Verbindung mit der ersten Annahme, also der Bevorzugung der Erklärung der Wirklichkeit durch logische Zusammenhänge, kommt als hinzu, dass der Mensch auf der Suche nach Ursachen[+] für das Leid logische Erklärungen bevorzugt und dass der logisch Denkende, weil, wenn und solange über den zentralen Wirkmechanismus der Ökonomie[+], speziell dem positiv verzinsten Kredit, eine »Glocke des Schweigens[+]« hängt, das Unbewusste mit stückweise logischen (Verschwörungs[+]-) Theorien auffüllt, nachdem er ausgeschlossen hat, selbst an der Situation Schuld zu haben, um die Ursachen[+] des Leids abzustellen. Die Motivation zur Antwortsuche ist also eine natürliche Reaktion in einer unnatürlich verzerrten Umwelt und dient der Vermeidung künftigen Leids.
⌂ Der Urmensch ist von Natur aus weder »nur arglos« noch »nur argwöhnisch«
Der berühmt-berüchtigte Gutmensch ist, im Kapitalismus[+] wohlgemerkt (!), quantitativ, doch qualitativ natürlich umgekehrt genauso gestört wie der Paranoide, so die dritte Annahme. Die Welt und die anderen Menschen sind weder »nur gut« noch »nur böse«, doch wird der Kulturmensch aufgrund der existenziellen Zwänge[+] (siehe Zins und das Gleichgewicht der Bestimmung) in Beziehungen hineingenötigt (Begriff des Vertragsabschlusszwangs, ähnlich einem Kontrahierungszwang[+]), muss in Beziehungen auf die Gutmütigkeit der Beziehungs- bzw. Vertragspartner hoffen und auch, dass die Preisbildung[+] (Vertragsinhalt!) fair ist.
Verhandlungen über den Preis finden auf allen Märkten statt, z.B. wenn ein Eigentümer[+] auf der Suche nach neuen Mietern (Besitzern[+]) ist und sich Informationen über diese beschafft, wenn ein Mieter bei der Wohnungssuche die Qualitäten der angebotenen Wohnung betrachtet, wenn ein Konsument im Geschäft seine Auswahl aus unterschiedlichen Angeboten trifft, wenn der Unternehmer oder Betriebsleiter im Verhältnis zu den Angestellten die Grenzen des Arbeitsvertrags[+] auslotet oder wenn der Angestellte über die Gewerkschaft in Tarifverhandlungen eintritt. Preisverhandlungen sind also ein allgegenwärtiges Phänomen, das sich zwar unterschiedlich darstellt, aber immer auf den Vertragsinhalt, das Wertverhältnis der ausgetauschten Güter und Dienstleistungen und also auf das Geben und Nehmen in der jeweiligen Austauschbeziehung abzielt.
Das Zinsnehmen bewirkt Vertragsabschlusszwänge und stört die freie Bildung des Vertragsinhalts, u.a. des Preises (Begriff der unsichtbaren Hand). Der so in vertragliche Beziehungen geratene, auf Fairness (doppelte Kontingenz[+]) hoffende, vertrauensvolle Mensch erwartet, dass die Beziehung Früchte trägt und dass das Verhältnis dessen, was er gibt und dessen, was er nimmt und bekommt (die Frucht der Beziehung, der Nutzen[+] und Sinn des Sicheinlassens) gerecht und also ausgeglichen ist. Diese vertrauensvolle Einstellung in Vertragspartner wird im Grunde gesellschaftlich gefordert und unterstellt (z.B. auch die Unschuldsvermutung in anderem Zusammenhang), ist jedoch eine einseitige Annahme! Was ein gerechter Preis für Güter und Dienstleistungen ist, ist zudem eine hochgradig relative, vom Umfeld der Kontrahenten (siehe nächste Annahme) abhängige Frage. Der arglose Mensch hofft auf die Liebe in der Beziehung, dass das Ganze also mehr ist als die Summe seiner Teile, unterstellt Gutmütigkeit und erwartet nichts Bösartiges, und die Gesellschaft fordert dies auch von ihm ein.
⌂ Der Zivilisationsmensch reduziert die Komplexität von marktwirtschaftlichen Netzwerken auf den Einzelvertrag und schneidet ab der ersten Nachbarschaftsordnung ab
Hier nun die vierte Annahme. Aufgrund von Zeit[+]- und Kostendruck infolge der Knappheit der Zeit[+] und der Mittel[+] im Kapitalismus[+] muss der Zivilisationsmensch
in der Preisverhandlung die Berücksichtigung der komplexen vertraglichen Beziehungen des unmittelbaren Vertragspartners und seines Selbst
zu Dritten ab der ersten Nachbarschaftsordnung abschneiden. Es sind die Leihverträge (von der juristischen Terminologie abweichend
ist hier mit 'Leihvertrag' der Verkauf von Verfügungsrechten[+]
an Sachen gemeint, also nicht zinslose Leihverträge) zu Dritten, die das Marktgleichgewicht zwischen den zwei Kontrahenten in der Preisbildung[+]
und also das Geben und Nehmen zwischen ihnen stören.
Der Zins[+] bewirkt einen subtilen und den Beziehungspartnern unbewussten Diebstahl der Frucht der Beziehung. Dieser Diebstahl ist nicht nur wegen des Schweigens[+] über den Zinsmechanismus[+] unbewusst, sondern auch, weil sein Wirkmechanismus sich in der Netzwerknachbarschaft erster Ordnung[+] befindet, über die Nachzudenken aus Gründen der Knappheit der Zeit[+] unterdrückt werden muss. So ist man sich auch nicht ganz bewusst darüber, unter welchen ökologischen und sozialen Bedingungen an Märkten erwerbliche Produkte hergestellt werden oder wohin eigentlich genau die eigenen Erzeugnisse gehen.
⌂ Mögliche Ursachen der Paranoia
Ich bemühe mich nun im Folgenden durch Kommentierung der Beschreibung von Volker Faust die Ursachen[+] der Paranoia[+] zu erklären.
Im Einzelnen nach DSM-IV-TR und ICD-10:
- Menschen mit einer paranoiden[+] (wahnhaften) Persönlichkeitsstörung sind im Grund ständig der Meinung, dass andere sie täuschen, ausbeuten, ja gezielt schädigen könnten. Zwar können sie dafür keine Beweise bringen, das stört sie aber nicht, auch wenn es ihre Besorgnis und damit ständige Anspannung lindern könnte. Denn eines wird schon jetzt deutlich: Mit einer solchen Einstellung, Stunde für Stunde, Tag für Tag, dauerhaft, ohne wesentliche Unterbrechung und damit Entlastung, in einer solchen psychosozialen Situation muss man ja Schaden nehmen: seelisch, geistig, körperlich, vom zwischenmenschlichen Aspekt ganz zu schweigen[+].
So vermuten sie auf der Grundlage von wenigen, auf jeden Fall nicht stichhaltigen Beweisen (s. u.), dass andere ständig gegen sie Front machen, sich verschwören könnten und sie damit zu jeder Zeit[+] und grundlos einer Attacke ihrer (heimlichen oder in ihrem Sinne bekannten) Widersacher, Gegner, Feinde ausgesetzt sein könnten. Tatsächlich belastet, zermürbt, ja zerstört vor allem dieses permanente Gefühl, von einer anderen Person oder gar Gruppe tief und unwiderruflich verletzt worden zu sein. Beweise dafür – wie erwähnt – gibt es nicht, was aber für den Wahn nicht nur eigentümlich, sondern geradezu charakteristisch ist (siehe das ausführliche Kapitel über den Wahn mit dem alles erklärenden Standard-Satz: „Es ist so!“).
Doch kann man sich vielleicht vorstellen, dass der aus hunderttausenden Jahren Evolution[+] hervorgegangene Zivilisationsmensch, der im Vergleich zum Zeitraum[+] seiner evolutionären Entstehung erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit[+] (6.000-13.000 Jahre) Subjekt des auf über- bzw. unnatürlichen Prinzipien beruhenden Zivilisationsprozesses und unnatürlich verzerrten Umweltbedingungen ausgesetzt ist (siehe auch Eintrag vom 25.08.2018), große Schwierigkeiten hat, den sein Bewusstsein von den sozialen Zusammenhängen übersteigenden, perversen und bösartigen Mechanismus erkennen und beschreiben zu können. Seine durch die genetischen Anlagen bedingte Natur geht evolutionär, denn seine Natur hat sich im Kontakt mit einer Umwelt ausgebildet, in der der Zins[+] negativ war, nicht davon aus, dass seine sozialen Austauschbeziehungen von einem übergeordneten (überindividuellen, metaphysischen) Mechanismus verzerrt werden, der insgesamt etwas Widernatürliches bewirkt, nämlich das Wachstum[+] des geltenden Toten[+]. Jedenfalls kann wohl gesagt werden, dass dies beweisen zu müssen eine Forderung ist, die die kognitiven Fähigkeiten nicht gerade weniger Menschen weit übersteigt. Der Urmensch[+] in uns »rechnet nicht damit«, dass er, wenn er der falschen der beiden Gruppen angehört, und das ist am Ende immer wahrscheinlicher, mit seiner Stoffwechselleistung[+] nur die »Gebärhülse« für die Kinder des geltenden Toten[+] ist.
Es ist auch verständlich, dass sich ein auf die Erbanlage, die sich im Kontakt mit einer anderen Umwelt ausgebildet hat, zurückgehendes Verhalten in einer kapitalistischen Kultur in tendenziell zunehmendem Widerspruch zum äußerlich vom Individuum geforderten Verhalten befinden muss. Zwischen der impliziten »Umwelterwartung« der Erbanlage und den Lebensbedingungen des Individuums innerhalb der kapitalistischen Kultur klafft eine größer werdende Lücke, und diese Diskrepanz wird irgendeine Art innere Anspannung bewirken, wenn sie das individuum internalisiert, statt diesbezüglich in den offenen Konflikt mit der Umwelt zu treten (siehe oben das Bild des altägyptischen Gottes Schu). Für die Wahrung des sozialen Friedens schluckt der Brave doch so manche Zumutung einfach herunter.
Diese falsche Interpretation geht so weit, dass Menschen mit einer paranoiden[+] Persönlichkeitsstörung sogar erstaunt sind, wenn sich ein anderer, d. h. Freund oder Partner, ganz offensichtlich so loyal verhält, wie er es nicht erwartet hat, weshalb er ihm trotzdem, ja gerade deshalb nicht glauben oder trauen kann. Ein Teufelskreis. Denn gerade wenn sie in Schwierigkeiten geraten, erwarten diese Menschen, dass gemäß ihrer verqueren Einstellung alle, einschließlich Freunde oder Partner, sie entweder ignorieren, demütigen, beschämen, kränken, verunglimpfen oder gar attackieren, schädigen – und damit in ihrer krankhaft-falschen Meinung bestätigen.
Da wäre es gut, wenn der irritierte Gegenüber wissen dürfte, dass Menschen mit einer paranoiden[+] Persönlichkeitsstörung selbst in harmlosen Bemerkungen, Fragen oder Kommentaren und vor allem Ereignissen abwertende, ja bedrohliche Bedeutungen hinein lesen. Beispiele: Geschieht irgendwo ein echter Fehler (bei einer Abrechnung u. a.), wird dies gleich als vorsätzlicher Betrugs-Versuch gewertet. Oder es wird eine beiläufige humorvolle Bemerkung als ernst gemeinter Angriff fehl-interpretiert. Selbst ein Kompliment muss erst nach allen möglichen und vor allem unmöglichen Kritik-Punkten abgeklopft werden, beispielsweise zur Frage der Eigennützigkeit, also ob hier etwas zum eigenen Vorteil geschehen ist, oder zur Anspornung einer noch besseren Leistung, vielleicht sogar als pure Ironie. Und so verwundert es auch nicht, dass sogar freundliche Hilfsangebote, selbstlos, gut gemeint, sinnvoll, den gewünschten Erfolg absichernd, eher als Kritik gesehen werden, beispielsweise selber nicht gut genug zu sein.
Dies ist vor allem darin begründet, dass die Verteilung von Zinsschulden im Geldnetzwerk von den in komplex vernetzten Austauschbeziehungen Stehenden durch Einzelentscheidungen über das jeweilige Geben und Nehmen geschieht und auch nicht unbedingt bewusst. Bewusst ist es vielleicht, wenn der Abteilungsleiter mit den Geschäftszahlen im Kopf im Betrieb auf der Suche nach Faullenzern oder Zeitdieben[+] ist, in den »Überwachungsmodus« schaltet und bei den Mitarbeitern dieses Gefühl des Überwachtseins hervorruft oder wenn einer, der knapp bei Kasse ist, dem Käufer oder Verkäufer misstraut, weil er Angst[+] hat, betrogen zu werden. Ist ein Mensch sich seines im Umgang mit Geld entstehenden Misstrauens nicht bewusst, dann wird er auch im Privaten ein Gefühl der Überwachung und des Kontrolliertwerdens verbreiten, wodurch sich das Misstrauen überträgt.
Über welche Beziehung sich jeweils wieviel Störung im u.U. von Natur aus empfindlichen und mit Logik und Vernunft[+] begabten Individuum akkumuliert[+], bis für es die Reizschwelle, wo auch immer sie liegt, überschritten ist, ist eine hoch komplexe Frage. Der Haupteinfluss wird sich daher nicht sicher einer begrenzten Zahl von Schuldigen in der unmittelbaren Umgebung zuschreiben lassen. Grundvoraussetzung dafür, einem Täter wirklich verzeihen zu können ist jedoch, dass derjenige eindeutig feststeht. Wie soll man also verzeihen, wenn man gar nicht weiß, von wem man betrogen wurde?
Möglich sind nicht nur ungerechtfertigte Gedanken an Verschwörungen[+] als Erklärung für Ereignisse in der näheren Umgebung und in aller Welt, die einen Menschen mit paranoider[+] Persönlichkeitsstörung belasten können. Möglich sind auch ungewöhnliche Wahrnehmungs-Erlebnisse mit so genannten Körpergefühls-Störungen oder anderen illusionären Verkennungen, d. h. krankhaft verfälschte Wahrnehmungen realer Gegebenheiten; oder das Hinzufügen vermeintlicher Wahrnehmungen zu den wirklichen, so dass sich ein komplexes Täuschungs-Phänomen ergibt (z. B. Baumstumpf als kauernde Gestalt). Bei den illusionären Verkennungen (vom lat.: illudere = verhöhnen, verspotten) ist somit im Gegensatz zur reinen Halluzination ein Sinnesreiz vorhanden, der jedoch subjektiv in der Wahrnehmung umgedeutet wird. Ähnliches gilt für so genannte Depersonalisations-Erlebnisse (auf einen kurzen Nenner gebracht: Ich bin nicht mehr ich selber) und Derealisations-Erlebnisse (alles so sonderbar, fremd, unwirklich um mich herum).
Ein autonomer Teil des Bewusstseinsprozesses, der von einigen Psychologen und Psychiatern (Paul Watzlawick, Alice Miller) in bestimmten Situationen auch als Realitätsbestätigung bezeichnet wird, dient dem Zweck[+], das mit der Persönlichkeit des Individuums verknüpfte (Um-) Weltmodell ständig mit den Umweltreizen abzugleichen, es evtl. daran anzupassen (z.B. Lernen durch Introjektion) oder, soweit möglich, umgekehrt die Umwelt an die Projektion (Vorstellung) anzugleichen und entsprechend Einfluss zu nehmen (Dualität der Wirklichkeit). Dieser autonom und permanent ablaufende Prozess der Herstellung des Realitätsbezugs ist an sich etwas Konservatives[+] und vermittelt dem Subjekt ein Gefühl von Sicherheit, wenn alles in gewohnter Ordnung[+] vorgefunden wird (Ich-Syntonie). In Hirnforschung und Neuropsychologie fällt dieser Teilprozess des Bewusstseins in den Bereich der exekutiven Funktionen des Gehirns. Ich denke, dass Luhmann[+] diesen Teilprozess des Bewusstseins als Sinn bezeichnet.
Wie oben dargestellt erzeugt die kapitalistische Kultur durch den inhärenten Mechanismus der Verteilung von Zinsschulden[+] bzw. monetären Zwängen[+], ähnlich wie das die bildliche Darstellung des Gottes Schu suggeriert, im Menschen der beherrschten Klasse im Mittel[+] permanent, jedoch stochastisch verteilt, seelische Divergenzen zwischen der inneren Vorstellung von Welt und äußerlichen Gegebenheiten, die dem Menschen in einen inneren Konflikt mit der Welt setzen und ihm die Entscheidung zwischen Konflikt oder Anpassung durch Sublimierung der konftlikträchtigen Triebe aufnötigen (Internalisierung). Die Sublimierung besteht in der seelische Annahme der wirksamen Mechanik durch Unterwerfung (Akzeptanz der sozialen Kausalität[+]).
Der den Konflikt vermeidende Kulturmensch erlernt also mit der Zeit[+] Mechanismen und akzeptiert Verhältnisse, die ihm ein physikalisch paradoxer, perverser, übergeordneter Prozess, nämlich das Wachstum[+] des geltenden Toten[+], aufnötigt. Dieses »kapitalistische Lernen«, der Ausbau des (Um-) Weltmodells im Menschen, tritt im Erleben an die Stelle der Erwartung, die in einer ungestörten Umwelt die Belohnung der Handlungen der Vergangenheit ist. Es ist gewissermaßen das exakte Gegenteil der Belohnung, nämlich die Absorption (Annahme) einer Schuld, und sie wird vermutlich, wenigstens unbewusst, auch genauso erlebt, nämlich als Bestrafung (siehe Begriff der Deprivation).
Ist das wahrnehmende Subjekt jedoch einer (äußeren) Situation ausgesetzt, die nicht mehr ausreichend gut auf das innere Modell[+] abbildbar ist, dann ist das ein Abriss der wahrgenommenen Außenwelt von der Modellvorstellung[+], eine Diskrepanz zwischen Realität und Projektion. Das Ergebnis wird sein, dass eine tiefe Verunsicherung über sich selbst angesichts der Situation oder in Bezug auf die Situation vor dem unbewussten Selbst empfunden wird, und dass der Bewusstseinsprozess (verzweifelt) auf die Sinnsuche geht (Antwort auf die Frage 'warum?'), um wieder Passgenauigkeit zwischen der in situ und faktisch gegebenen Welt und der Modellvorstellung[+] von Welt (Ich-Syntonie) herzustellen, siehe Sinn. Folglich spielt sich das Erleben zwischen Depersonalisation (bzw. Ich-Dystonie) und Realitätsverlust ab.
Ich denke, dass dieser Zustand der Sinnsuche, der Versuch des Bewusstseinsprozesses, wieder in die Realität „einzuklinken” oder „einzurasten”, letztlich aus der starken Abweichung des inneren Weltmodells von der Realität erklärbar ist, die durch die Stärung der natürlichen Kausalität[+] durch die relativ dazu verkehrte kapitalistische Kausalität[+] genährt wird. Die Frage der Entstehung von Psychosen verlagert sich daher auf die Frage nach den Mechanismen zur Entstehung der potenziell diskrepanten Vorstellungen und Modellen[+] von der Welt mit der observierbaren, faktischen Realität.
Um aber gleich eine Folge-Frage zu beantworten: Paranoide Persönlichkeitsstörungen sollten nicht diagnostiziert werden, wenn das Verhaltensmuster ausschließlich im Verlauf einer schizophrenen Psychose, einer affektiven Störung (z. B. manisch-depressiven[+] oder nur depressiven[+] Erkrankung mit psychotischen Merkmalen) oder einer anderen psychotischen Störung auftritt. Und natürlich nicht, wenn sich das Beschwerdebild auf die direkte körperliche Wirkung einer organischen Krankheit zurückführen lässt, z. B. in neurologischer Hinsicht auf eine Temporallappen-Epilepsie (Schläfenlappen-Epilepsie, heute komplex-fokale Epilepsie genannt).
⌂ Fazit
Wie kann man also jenen Teil der Paranoia[+] heilen, der auf die Unkenntnis der kapitalistischen Kausalität[+] zurückgeht? Man holt durch gezielte Fragen das Unwbewusste des Paranoiden mit Bezug zur sozio-ökonomischen Mechanik des Zinsnehmens[+] an die Oberfläche seines Bewusstseins und verknüpft die Fragmente logisch miteinander. Das daraus entstehende Gebäude wird sich an die Stelle der Wahnvorstellung setzen.
⌂ Querverweise auf 'Wahnhafte Erwartungen: Paranoia'
- Aktuelles (Blog)
- Pandemie und Depersonalisation; Referenzen / Einzelnachweise
- Was ist mit den Demonstranten los und wer trägt die Verantwortung für die Existenz und das Weiterbestehen dieser Bewegung?
- Unwissenheitsmanagement: Kapitalismus, Intuition und Konflikt; Überall falsche Propheten, Unkrautsäer und babylonische Sprachverwirrung; Wie sich Intuition bildet; Der Rahmen der Weltanschauung und -erfahrung; Kapitalistische Sozialisation; Projektion auf der Grundlage des inneren Weltmodells; Durch das Kapital und seine Fortpflanzung bedingte soziale Kausalität; Der Systemanteil im Selbst; Zwei Klassen und zwei Wahrheiten; Das Rechts-Links-Schema; Schluss mit der Spalterei und dem blinden, unhinterfragten Gehorsam den eigenen Affekten gegenüber!; Negative Zinsen, wer weiß schon, wie das geht?; Viele der neuen Freiheiten und Wandlungsmöglichkeiten liegen in einer bestimmten Richtung. Welche Richtung ist das und wer bestimmt, welche Freiheiten sinnvoll sind?
- Nachverarbeitung des Amoklaufs von Hanau; Fragen an Franz Müntefering; Rede von Franz Müntefering in der Friedrich-Ebert-Gedenkstätte in Heidelberg; Kritik; Hanau, Paranoia und Fremdenfeindlichkeit; Das Manifest des Täters von Hanau und die Mitschuld der öffentlich-rechtlichen Medien; Ein berechtigter Grund für Paranoia: Unbewusste Nutzung von Informationen zur wirtschaftlichen Ausbeutung; Ist die Fremdenfeindlichkeit vielleicht eine spezielle Neurose, eine Angstabwehrhandlung?; Ist Fremdenfeindlichkeit heilbar?; Zusammenfassung
- B(r)ücken in den Faschismus: Bürgerliche Unterstützung für die Braunen; Ganz klare Kante gegen die Werteunion!; Die Entstehung des Faschismus als ein triebhafter, bürgerlicher Angstreflex; Referenzen / Einzelnachweise
- Kommentierung von Karen Horneys Aussagen zu Kultur und Neurosen von 1937; Grundangst, Norm und Neurose; Freuds Position und das Zusammenspiel von Kultur und Neurose bzw. die Interdependenz von Soziologie und Psychologie; Sublimierung von Trieben und die Entstehung des Über-Ichs; Kulturniveau und Unterdrückung von menschlichen Trieben; Konflikte und Wettbewerb; Widersprüche, Spaltungen und Paradoxien; Referenzen / Einzelnachweise
- Das logische Gegenstück zum Schweigen der Lämmer; Das Schweigen der Lämmer; Gauck zu Henry Fords: „Würden die Menschen das Geldsystem verstehen, hätten wir eine Revolution noch vor morgen früh.“; Ein Standpunkt der orthodoxen Volkswirtschaftslehre; Luhmanns Aussagen zur Funktion der Bewusstseins- und Kommunikationslatenz; Folgerung: Eine unbequeme Wahrheit; Zusammenfassung: Anleitung zur Aufklärung; Nachtrag: Folgen des Schweigens
Sie kennen vielleicht von anderen Medien sogenannte "Bezahlwände". Sie erhalten die von Ihnen begehrten Informationen nur, wenn Sie den Artikel kaufen oder regelmäßig zahlen. Soweit kann ich es aus berufsethischen Gründen nicht kommen lassen, bitte Sie jedoch trotzdem darum, meine Arbeit mit einer Spende oder einer Schenkung zu unterstützen.
Tim Deutschmann
USt-IdNr.: DE342866832
IBAN: DE49 4306 0967 6023 3551 01
BIC: GENODEM1GLS
Verwendungszweck 'Spende'.
Liste mit SpenderInnen, weitere Informationen zu meiner Finanzierung hier.
Kontakt- und Adressdaten:
E-mail: autor@tim-deutschmann.de
Keltenweg 22
69221 Dossenheim
Impressum