Wirtschaftliches Handeln und Logik: bivalente (klassische) Logik vs. „quantenmechanisches“ Denken
Es gibt sicher nicht wenige ausgesprochene Kapitalisten, die meinen, Physiker seien verrückt. Sollen die Kapitalisten doch denken, was sie wollen. In einem klassischen, herkömmlichen Sinn vom Anfang des 20. Jahrhunderts haben diese Leute sogar Recht[+], jedoch mussten sie sich nicht, wie wir Physiker (von damals) mit der Realität beschäftigen, sondern durften weiter in ihrer bivalenten, schwarz-weißen Scheinwelt herumturnen.
Es geht hier um die Frage, wie wir Realität begrifflich auffassen und welche Implikationen die Wahl von Begriffen auf die Logik und die „Granularität“ und Konsistenz von Realitätsbeschreibungen hat. Kurz nach einem Gespräch mit einem Soziologen begegnen mir diese Zeilen auf Seite 201 der 4. Auflage von Joseph Schumpeters „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“ von 1942 im Exil in New York im Kapitel „Die kapitalistische Zivilisation“:
Die funktionale Differenzierung der Arbeit[+], die Entwicklung der Arbeitsteilung[+], die ja begleitet war von einer Differenzierung der Sprache,
wurde durch die vom Zins[+] verursachte „künstliche“ Knappheit notwendig. Also ist der Zins[+] auch der Generator
der Begriffe in den entstehenden funktionalen Räumen.
Die Unterteilung aller Dinge in die Gegensätze nützlich[+] und unnützlich[+] in Hinblick auf die wirtschaftliche Selbstbehauptung
(„nützt mir die Sache zur Vermehrung meines Geldes oder zur Tilgung meiner Schulden?“) zwingt dem Denken Begriffe auf
und lässt ihre jeweiligen Komplemente als unwichtig oder unnütz verblassen.
Das, was nicht Begriff war, was nicht begriffen wurde, ist jedoch nicht verschwunden,
sondern immer noch in der Welt, „verschwört“ sich gewissermaßen als das Irrationale, Unbegriffene
und muss dann phänomenologisch und zunächst scheinbar akausal[+], also mit dem vermeintlich Begriffenen unzusammenhängend
aufgefasst werden. Das utilitaristische Denken reduziert Komplexität.
Das Wegreduzierte ist jedoch nicht aus der Welt, sondern nur aus dem Bewusstsein.
Niklas Luhmann[+] sagt
„Die Einheit besteht in der Differenz“.
Um es kurz zu machen: Es war die bivalente Logik, das mechanistische Denken, der Ausschluss des Dritten, das uns Physikern Anfang des 20. Jahrhunderts „um die Ohren“ geflogen ist, als wir uns mit der physikalischen Realität auf den kleinsten räumlichen Skalen beschäftigten und versuchten, sie mit den herkömmlichen Begriffen zu beschreiben und scheiterten. Anfang des 20. Jahrhunderts lag das gesamte Theoriegebäude der Physik zur mikroskopischen Beschreibung der Materie in Trümmern. Aus diesen Trümmern erwuchs die Quantenmechanik[+].
Zu der Beziehung zwischen herkömmlicher, klassischer Logik und den durch quantenmechanische Messungen gewonnen Aussagen zur Realität unter Verwendung herkömmlicher Begriffe schreibt Werner Heisenberg in „Philosophie der Quantenmechanik[+]“ auf Seite 56 zur „Kopenhagener Deutung der Quantentheorie“:
Das Ergebnis der Heisenberg'schen Unschärferelation ist im Wesentlichen, dass die bivalente Logik ungeeignet ist, die Natur auf allen Skalen zu beschreiben. Wenn jetzt nun aber der Generator der Begriffe, der Erzeuger von Komplementarität, die Ursache[+] von begrifflichen Spaltungen, das Messer des utilitaristischen Geistes, verschwindet oder in seiner Bedeutung gegenüber seinem Gegenteil (der Konjunktion, Fusion oder auch Synthese) zurücktritt, verschwindet, wenn der Zins[+] also negativ wird, dann beginnen die Begriffe, die vorher Gegensätze waren zu überlappen. Konkurrenz und Kooperation beispielsweise sind dann gleichzeitig möglich, die Begriffe lassen sich nicht mehr scharf voneinander trennen, ähnlich wie konjugierte, nicht kommutierende quantenmechanische Observable wie Ort und Geschwindigkeit, Energie und Zeit, Amplitude und Phase, usw...
Bei positivem Zins[+] hingegen bleiben Konkurrenz und Kooperation Widersprüche:
die akkumulierten Gewinne halten die Konkurrenz flach. Die Konkurrenz ist monopolistisch und scharf abgegrenzt
von der Kooperation.
Ich möchte jedem Geisteswissenschaftler (u.a. Psychologen, Soziologen und Ökonomen) herzlich anraten, sich einmal ernsthaft und intensiv mit der Geschichte der Entstehung der Quantenmechanik[+] zu beschäftigen. Von Werner Heisenberg gibt es dazu das kleine Büchlein, die „Philosophie der Quantenmechanik[+]“, siehe z.B. auch Joachim Schulz am 1. August 2010.
Querverweise auf 'Wirtschaftliches Handeln und Logik: bivalente (klassische) Logik vs. „quantenmechanisches“ Denken'
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